Das, was im gegenwärtigen
Augenblick geschieht, ist LEBEN.
Thich Nhat Hanh
Immer wieder neu – den Anfängergeist pflegen
Achtsamkeit
Was steckt eigentlich hinter diesem Begriff?
Wir haben alle eine Vorstellung davon, was für uns Achtsamkeit ist.
Der Begriff kommt mittlerweile überall vor – im Management, Ratgeberbüchern, Schule, Garten, Hausarbeit etc. Das Thema lässt sich gut vermarkten. Doch darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte dir die Praxis der Achtsamkeit als Bereicherung für dein Leben vorstellen. Die ältesten Schriften, in denen die Achtsamkeit erwähnt wird, finden wir im Buddhismus.
Aber was steckt dahinter, was ist Achtsamkeit?
Auch hierfür gibt es eine Reihe von verschiedenen Definitionen. So steht im Duden zum Begriff „achtsam“:
1. aufmerksam, wachsam
2. vorsichtig, sorgfältig
Wenn ich mit meinen KlientInnen über Achtsamkeit spreche oder Achtsamkeitskurse gebe, dann besprechen wir unterschiedliche Definitionen, die eigenen Vorstellung, reflektieren den Begriff von verschiedenen Seiten.
Ich bin der Ansicht, jeder darf seine eigene Definition von „Achtsamkeit“ erfahren. Ich finde, der folgende Satz fasst es gut zusammen:
„Achtsamkeit bedeutet, alles was im Augenblick geschieht bewusst wahrzunehmen ohne es zu beurteilen oder auf die Beurteilung gleich aufzusteigen.“
Ich erkläre den Begriff Achtsamkeit, oder was für mich alles darin enthalten ist, gerne anhand der sieben Säulen der Achtsamkeit:
- Nicht beurteilen
- Geduld
- Anfängergeist
- Vertrauen
- Nicht-Greifen
- Akzeptanz
- Loslassen
In der Achtsamkeitsübung dieses Monats möchte ich auf die Säule des Anfängergeistes eingehen.
Der Anfängergeist ist geprägt von einer inneren Einstellung von Offenheit, Staunen, Entdecken, Neugierde, Nicht-Wissen. Es ist die Fähigkeit, alles genau so wahrzunehmen, als würdest du es das erste Mal erleben.
Neugierig und vorbehaltlos die Welt entdecken – das tun wir als Erwachsene viel zu selten. Wir verlieren als Erwachsene leider auch sehr oft den Anfängergeist. Wir haben diese oder jene Situation schon einmal so ähnlich erlebt und wissen damit genau, was jetzt passieren wird oder was der andere jetzt sagen möchte. Z.B.: „Wenn er so schaut, hat er immer schlechte Laune und brüllt gleicht.“ Da gibt es viele Situationen, die uns täglich begegnen. Wir glauben oft, schon innerlich zu wissen, was passieren wird, und das merken wir gar nicht. Das geschieht zumeist unbewusst.
Bei der Praxis der Achtsamkeit – ob in der Meditation oder im Alltag – geht es immer darum, von Augenblick zu Augenblick den Geist des Anfängers zu behalten oder immer wieder neu zu entwickeln: Dinge mit den Augen eines Kindes zu sehen, wie beim ersten Mal. Der Situation auch die Chance zu lassen, diese Situation zu sein und nicht die, die man schon voraussieht, weil es ja immer so ist.
„Mit Anfängergeist üben! Was aber ist Anfängergeist? Anfängergeist vergleicht nicht, weil er nicht weiß, wie es sein müsste. Für ihn ist alles vollkommen ist, weil er nicht schon alles kennt. Das ist ein Geist, der einfach nur teilnimmt an dem, was gerade geschieht. Was geschieht gerade? Der Atem fließt. Wenn du nicht vergleichst mit dem Atem davor, dann ist dieser Atemzug vollkommen neu. Du selbst bist vollkommen neu in diesem Ein und Aus, du Anfängergeist. Ach, wie anders wäre wohl diese und jene Situation und Begegnung, wenn du nur gerade auch so an ihr teilnehmen könntest im Anfängergeist. Anfängergeist denkt sich nicht aus, wie etwas wäre. Anfängergeist ist nur hier. Hier und jetzt bist du neu.“ (Silvia Ostertag: „Lebendige Stille“ Freiburg: Herder 2003, S.36)
Um Neues zu entdecken, ist es nicht notwendig, weit zu reisen. Es reicht oft, die Perspektive zu wechseln auf das, was du bereits zu kennen glaubst. Das kann der Partner, ein Freund, ein Kind oder Arbeitskollegin sein. Es können aber auch Wege, die du regelmäßig gehst, das Meeting, das regelmäßig bei der Arbeit stattfindet oder andere Inhalte deines Alltages sein.
Achtsamkeits-Übung für deinen Alltag – Übungshinweise:
- Überlege dir gleich beim Aufstehen, wen oder was du heute neu betrachten möchtest.
- Ein hilfreicher Trick dabei ist ein Perspektivwechsel, d. h., dass du dir vorstellst, selbst jemand anderes zu sein, der zum ersten Mal in Kontakt mit diesem Menschen oder dieser Situation kommt.
- Schaue dich genau um – mit den Augen dieses neugierigen Fremden.
- Beantworte bzw. reflektiere die nachfolgenden Fragen:
Was fällt dir auf, was siehst, was hörst, was riechst du?
Wie fühlst du dich bei dieser Begegnung?
Bist du befremdet, überrascht, unsicher oder freust du dich?
- Bewerte deine Betrachtungen nicht, sondern nehme sie intensiv wahr und lasse sie auf dich wirken.
Übe so mindesten zwei Wochen lang täglich und notiere dir deine Entdeckungen in deinem Erfahrungstagebuch. Deine Welt kann so bunter und vielfältiger werden, wenn du dir erlaubst, die Welt mit den Augen des Anfängergeistes zu betrachten.
Ich wünsche dir dabei Erfahrungen, die dich persönlich achtsamer werden lassen und dir Erkenntnisse über dich selbst geben – sei dabei voll Neugier und Anfängergeist. Nur durch die eigene Erfahrung kannst du lernen und dich weiterentwickeln. Achtsamkeit lässt sich nicht „erlesen“, sondern „erfahren“ – und das jeden Tag aufs Neue.
Mit achtsamen Grüßen
Meike