Leben mit der Depression
Aus dem Tagebuch von Betroffenen
Leben mit Depression heißt nicht, einen schlechten Tag zu haben. Das Leben scheint für Betroffene oft wie eine emotionale Talfahrt. Angst, Beklemmung breiten sich aus. Du fühlst dich nicht gut, bist müde, kraftlos, Traurigkeit erfüllt die Seele, du stellst die Frage nach dem Sinn deines Lebens. Oft ist es ein Weglaufen, Verdrängen, Abwarten – Nichtstun. Warten auf das, was nicht geschieht. Rückzug ins eigene Schneckenhaus. Aufstehen fällt immer schwerer, den Alltag zu bewältigen, wird zur Herausforderung. Die Worte sind in dir, du kannst nicht sprechen, wie durch eine unsichtbare Kraft bist du stumm. Leiden. Du bist gefangen in dir. Du fühlst dich nicht mehr, die Gefühle sind wie erstarrt. Du weißt nicht, wie schaffe ich diesen Tag. Das Gefühl „ich kann nicht mehr…“ wird immer stärker und zieht dich nach unten. Es ist wie unter einer Glocke, das Leben draußen zieht vorbei und du bist ausgeschlossen. Du siehst das bunte Leben, möchtest dabei sein und es geht nicht. Die Glocke fesselt dich, lässt sich nicht anheben und darunter hervorkriechen. Du erkennst, es braucht Kraft dafür. Doch daran fehlt es im Moment. Woher kannst du diese Kraft nehmen? Viele sprechen auch davon sich „im Loch“ zu befinden. Da sind die Tage, wo du morgens schon das Gefühl hast, ich schaff das nicht.
Welche Symptome deuten auf eine Depression hin?
Als typische Symptome gelten nach der ICD-10:
- gedrückte Stimmung
- Interessenverlust, Freudlosigkeit
- Verminderung des Antriebes, erhöhte Ermüdbarkeit
Ergänzt werden diese durch andere häufige Symptome:
- Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
- Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
- Schuldgefühle, Wertlosigkeit
- Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
- Suizidgedanken, Selbstverletzungen, Suizidhandlungen
- Schlafstörungen
- Verminderter Appetit
Wenn die benannten Symptome länger als 2 Wochen andauern, sollte ein Arzt zur Diagnosestellung aufgesucht werden. Je nach Vielfalt der Symptomatik wird unterschieden nach leichten, mittelgradigen und schweren depressiven Episoden.
Ursachen der Depression
Körperliche Ursachen
- chronische Erkrankungen bzw. Schmerzen
- Störungen im Hormonhaushalt und/oder des Hirnstoffwechsels (Schilddrüse, Vitamin-D-Mangel)
- Schwere Erkrankungen wie z.B. Krebs
Psychische Ursachen
- Schicksalsschläge wie z.B. Tod eines Familienmitglieds oder eines Freundes
- Dauerhaft Stress im Privat- oder Berufsleben
- Streitigkeiten und Konflikte in der Partnerschaft
- Einsamkeit
Genetische Ursachen
- Einfluss von Umweltfaktoren auf die Genetik
- Erbliches Risiko eine Depression zu erleiden
Was kann ich tun, um die Depression zu beeinflussen?
Das Erste und Grundlegende ist – komm in Bewegung. Komm in Bewegung, dein Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu wollen. Das musst du nicht alleine tun. Such dir Unterstützung und nehme professionelle Hilfe an. Meist ist das der Schritt, der Veränderung in Gang kommen lässt ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten auf die vorab genannten Prozesse in deinem Körper Einfluss zu nehmen. Dazu gehören:
- Bewegung – Spaziergang an der frischen Luft, walken, leichtes Joggen
- Meditation und Achtsamkeit
- Yoga
- Soziale Kontakte
- Farben
- Kurzurlaub
- Essen
- Frische Luft
Ärzte empfehlen täglich 30 Minuten. Aber auch, wenn du bereits 3 Mal wöchentlich an der frischen Luft bist, wird es dir dein Körper danken.
Bewegung an der frischen Luft heißt spazieren gehen, walken oder laufen. Dein Herz- Kreislaufsystem wird angekurbelt, damit stärkst du gleichzeitig dein Immunsystem und machst dich weniger anfällig für Infektionen. Die frische Luft sorgt für Wellness und Wohlbefinden. Wann immer möglich, mach einen Waldspaziergang und erlebe, was die Natur zu bieten hat. Scheint die Sonne, dann genieße ein paar Minuten Sonnenbad. Nimm wahr, wie die Sonnenstrahlen dein Gesicht berühren, wie Wärme entsteht und ein angenehmes Wohlgefühl sich ausbreitet. Gleichzeitig kannst du so entspannen und Stress abfließen lassen.
- Meditation und Achtsamkeit
Meditation und Achtsamkeit schenken uns Ruhe. Ruhe, die sich gerade in der Depression als beängstigend anfühlen kann. Ruhe im Moment im Hier und Jetzt kann dir Energie und Kraft schenken. Die Ruhe lässt deinen Geist zur Ruhe kommen. Stell dir den Geist wie einen aufgewühlten See vor. Das Wasser ist bewegt und wellig, du siehst den Grund des Gewässers nicht. Mit jedem Moment, jedem Atemzug in deiner Meditation wird der See deines Geistes ruhiger. Die Wellen beruhigen sich, das Wasser wird klarer. Am Ende gleicht dein Geist der glatten Oberfläche des sich beruhigten Wassers des Sees. Mit zunehmender Übung, Training deines „Achtsamkeitsmuskels“ wird es dir gelingen, den Grund des Sees und damit den Grund deiner Seele zu erbblicken und damit Antworten für dich zu finden – in deiner Ruhe. Sei neugierig und probiere Neues aus, mach deine Erfahrungen und lass dich inspirieren. Es braucht keine Vorbereitung, bestimmte Kleidung – einfach Sein. Klingt einfach, ist in der Umsetzung nicht so leicht. Sei geduldig mit dir und verständnisvoll. Und vor allem, mach dir keinen Druck. Druck bringt das Leben oft schon von allein genug. Es ist für dich nicht förderlich, wenn du im Bereich Entspannung ebenfalls Druck aufbaust. Vielleicht hast du verlernt, dich gut zu entspannen.
Vielleicht möchtest du dir ein kleines Achtsamkeitstagebuch anlegen, wo du deine Erfahrungen niederschreibst.
Du kannst gerne eine Kerzen-Meditation durchführen – Trataka (= sehen, starren). Die Flamme symbolisiert Wärme und Licht, das was dir in der dunklen Jahreszeit oft fehlt. Suche dir dafür einen Platz, wo du für die nächste Zeit ungestört sein kannst. Zünde eine Kerze an. Nimm einen für dich angenehmen Sitz ein, ungefähr eine Armlänge von der Kerze entfernt, Flamme ungefähr auf Augenhöhe. Schließe deine Augen und nimm Kontakt mit deiner Atmung auf. Entspanne deinen Körper, beobachte, wie dein Atem in seinem ganz natürlichen Rhythmus ein- und ausströmt. Du brauchst nichts zu verändern, einfach beobachten, wie es dich atmet. Öffne nun deine Augen und blicke beständig auf die Spitze des Dochts, ohne zu blinzeln oder die Augäpfel zu bewegen. Deine Wahrnehmung ist ausschließlich beim brennenden Docht, drüber tritt deine Körperwahrnehmung zurück. Wenn die Augen ermüden oder zu tränen beginnen, schließe sie sanft. Für den Anfang reicht es, wenn du 1 bis 2 Minuten in die Flamme blickst. Du kannst dies auf 5 bis 10 Minuten steigern.
- Yoga
Praktiziere Yoga für die Verbindung deines Körpers mit deinem Geist, um so eine Balance zwischen Körper, Seele und Geist zu spüren.
Hier eine Anregung für eine kurze Sequenz gegen die Depression. Die Sequenz lässt dich deinen Körper fühlen, spüren und dich im Hier und Jetzt sein.
Ankommen und Innehalten – Pranayama (Atemübung) – Asanas – Shavasana
Ankommen und Innehalten (2 Minuten) Nimm eine entspannte Haltung im Sitzen ein und führe deine Aufmerksamkeit nach innen. Nimm deinen Körper wie mit einem Scanner von den Zehen bis zum Scheitel wahr. Nimm wahr, was du jetzt spüren und fühlen kannst. Bewerte es nicht. Sei dann bei deiner Atmung. Mit jedem Atemzug kommst du ein wenig mehr an in deiner Übungszeit, du lässt Anspannung mit der Ausatmung abfließen.
Pranayama Die Sonnenatmung – Surya Bhedana für mehr Energie (2 Minuten) Finde einen aufrechten Sitz. Hebe deine rechte Hand mit der nächsten Einatmung lege Mittelfinger und Zeigefinger auf dein drittes Auge, auf die Stelle zwischen deinen Augenbrauen oder klappe die Finger nach innen. Verschließe mit dem Daumen sanft dein rechtes Nasenloch und atme bewusst tief in den Bauch ein und wieder aus. Sage dir dabei im Geiste bei Einatmen „Energie aufnehmen“ und beim Ausatmen „Anspannung loslassen“
Aktiviere nun deine Zirbeldrüse, indem du sanft mit einem oder zwei Fingern den Punkt zwischen deinen Augenbrauen beklopfst, ungefähr 30 Mal. Danach komme in den aufrechten Stand für die
Asanas – Körperübungen Führe nachfolgende Asanas mit Achtsamkeit und in Verbindung mit deiner Atmung durch. Asanas und Atmung verbinden sich. Deine Atmung ist die Brücke zu deinem Geist. Übe jedes Asanas für mindestens 1 Minute.
Komme zunächst in ein Tadasana (Berghaltung) – für Stärke, Stabilität, Widerstandsfähigkeit mit der nächsten Einatmung hebe deine Arme über die Seite nach oben mit der Ausatmung komme in die Vorwärtsbeuge.
Uttanasana (Vorwärtsbeuge) – für Loslassen, Flexibilität, verschränke zunächst deine Arme und lass dich fallen, lasse los. Beuge leicht deine Knie, damit dein Rücken gerade bleibt. Nach 5 Atemzüge wechsele die Verschränkung. Nach weiteren 5 Atemzügen bringe die Hände nach unten auf deine Matte vor deine Füße. Spüre, wie du mit jedem Atemzug ein bisschen mehr in die Dehnung und das Loslassen kommst.
Löse dich achtsam aus der Haltung und gebe mit der nächsten Einatmung dein rechtes Bein nach hinten, das rechte Bein und komme so in den herabschauenden Hund. Adho Mukha Svanasana (herabschauender Hund) – für bleibe in den Knien leicht gebeugt, die Ellenbogen leicht gebeugt, Gesäß strebt weit nach oben. Wenn du magst beuge abwechselnd das rechte bzw. linke Bein und strecke es wieder. Denke dabei an einen schlendernden Hund. Laufe dann mit kleinen Schrittchen in Richtung deiner Hände, bis du wieder in Uttanasana (Vorwärtsbeuge) kommst. Richte dich achtsam Wirbel für Wirbel nach oben auf. Nach 2 bis 3 Atemzügen verlagere dein Gewicht auf dein linkes Bein, hebe das rechte Bein und drehe es nach außen. Finde deine Position für
Vrksasana (Baum) – für Gleichgewicht, Balance, Fokus. Entscheide dabei selbst, was für ein Baum du heute sein möchtest – ein kleiner, dann setze deine rechte Ferse auf den linken Fußrücken, ein mittlerer – bringe deine rechte Fußsohle an deine linke innere Wade oder ein großer Baum – dafür deine rechte Fußsohle an deinen linken inneren Oberschenkel bringen. Übe jede Körperseite je 1 Minute. Vor dem Wechsel auf das rechte Bein spüre nach und nimm wahr. Wie fühlen sich deine Beine an? Gibt es Unterschiede? Fühlen sie sich gleich an? Oder kannst du gar nichts feststellen. Egal wie es ist, so ist es in Ordnung. Bewerte deine Wahrnehmung nicht. Komme nun achtsam in die Rückenlage. Stelle das linke Bein vor dem Gesäß an, das rechte Bein. Mit der Einatmung komme Wirbel für Wirbel in
Setu Bandha Sarvangasana (Schulterbrücke) – für Flexibilität, Stärkung des Herzraums. Führe dein Kinn strebt Richtung Brust, damit der Nacken lang bleibt. Bei Problemen im Schulter-/Nackenbereich lege dir eine gefaltete Decke unter. Führe die Übung dynamisch aus, ohne das Kreuzbein am Ende abzusetzen. Einatmend rolle dich in die Schulterbrücke, ausatmend rolle wieder zurück auf die Matte. Wenn du magst, kannst du das mit Bewegung deiner Arme verbinden, d.h. du bringst mit der EA deine Arme nach hinten und rollst dich gleichzeitig auf, mit der AA Arme zurückführen und abrollen. Beim letzten Abrollen lege nun auch dein Kreuzbein auf der Matte ab und spüre für ein paar Atemzüge nach. Nun gehst du über in
Shavasana (Endentspannung/Totenhaltung) – für Entspannung, Loslassen, Gelassenheit. Dafür finde eine entspannte Rücken- oder Bauchlage, wenn du schlecht auf dem Rücken liegen kannst. Lege dir ein Kissen unter den Kopf und unter die Kniekehlen. Wenn du möchtest decke dich zu, schließe deine Augen und lege ein Augenkissen auf die Augen. Lass alles los und übe für 5 Minuten Shavasana.
Beginne dann langsam deine Finger zu bewegen, die Füße, recke und stecke dich. Gähne, wenn dir zum Gähnen ist und komme in deinem Tempo in einen aufrechten Sitz deiner Wahl.
Bringe deine Hände zusammen vor dein Herz und reibe diese intensiv aneinander, bis du eine spürbare Wärme wahrnimmst. Dann lege die Hände über deine Augen, ohne dass die Hände aufliegen, streiche mit den Händen über dein Gesicht, deine Schläfen, die Stirn, deine Arme, die Schultern und den Nacken, deine Rumpfvorderseite, den Rücken, deine Beine. Lege anschließend die Hände vor deinem Herzen zusammen ins Anjali Mudra. Bedanke dich bei dir für dein Üben, dein Tanken von Energie und sage dir im Geiste als
positive Affirmation den Satz: „Ich fühle mich mit Energie geladen. Ich lebe motiviert meinen Tag und widme mich konzentriert meinen anstehenden Aufgaben.“
- Soziale Kontakte
Treffe dich mit Freunden, auch wenn du vielleicht keine große Lust darauf hast. Macht zusammen einen Spaziergang. Vielleicht magst du einen Spieleabend organisieren. Sollten die Corona-Bestimmungen hier deine Vorhaben einschränken, suche nach Alternativen. Telefoniere oder Skype mit den Menschen, die dir wichtig sind. Tauscht euch aus. Wie gehen deine Freunde, deine Familie damit um? Sie können dich unterstützen und auf andere Gedanken bringen.
- Farben
Farben wirken auf unsere Stimmungslage. Unterbewusst reagiert der Mensch auf Farben. So beeinflussen gelb oder orange positiv, indem sie deine Stimmung heben können. Grün kann dich besänftigen und Rot wärmt deine Seele. Schaffe dir bewusst farbige Akzente in deinem Umfeld und nutze die Wirkung der Farben, um deine Stimmung zu verbessern.
Für die saisonale Depression werden z.B. der Einsatz von Farblampen in der Therapie empfohlen.
- Essen
Auch das Essen spielt eine nicht unwesentliche Rolle, wenn es um Depression geht, denn durch Zuführung bestimmter Nahrungsmittel kannst du dafür sorgen, dass Serotonin im Körper gebildet wird. Dazu wird die Aminosäure Tryptophan benötigt. Dieses bildet unser Körper nicht selbst, wir nehmen es über die Nahrung auf. Tryptophan ist enthalten in
- Trockenobst – Datteln, Feigen. Diese enthalten auch viel Magnesium, was resistenter gegen Stress macht.
- Ananas, Bananen enthalten besonders viel Tryptophan
- Fisch enthält Omega-3-Fettsäure, welche den Gehirnstoffwechsel, ähnlich wie Tryptophan beeinflusst. Damit wird letztlich beeinflusst wieviel Serotonin gebildet werden kann.
- Chili, Pfeffer, Peperoni – Durch die Schärfe und den damit verbundenen Schmerzreiz werden Endorphine ausgeschüttet. Diese Glückshormone betäuben den Schmerz und wirken entspannend.
- Kohlenhydrate in Nudeln, Brot, Kartoffeln und Reis helfen ebenso, mit Stress umzugehen.
- Das Koffein in Kaffee oder schwarzem Tee regt den Stoffwechsel an und hebt dadurch deine Stimmung. Es macht dich wacher und aufmerksamer. Hier sei darauf hingewiesen, Kaffee und schwarzen Tee nur in Maßen zur dir zu nehmen.
Und nun ist es an dir, dir Zeit zu geben. Du kannst einiges selbst gegen die Depression tun. Nimm dir die Zeit dafür. Sei geduldig mit dir. Hol dir Hilfe, du bist nicht allein.
Der Kurzfilm „Der schwarze Hund“, nach dem Buch von Matthew Johnstone, zeigt auf einfühlsame Weise mit der Metapher des schwarzen Hundes als Depression, was eine Depression ist, was sie mit dem Menschen macht und welche Lösungen es gibt. Ich finde diesen Film wundervoll und zeige ihn oft in meinen Therapiesitzungen.
Nur durch die eigene Erfahrung kannst du lernen und Veränderung ermöglichen.
Mit achtsamen Grüßen
Meike